Slawische Sprachen

Die slawischen Sprachen bilden neben den romanischen und den germanischen Sprachen den dritten großen Hauptzweig der indoeuropäischen Sprachfamilie.

Mit den Slawischen Sprachen eng verwandt sind die baltischen Sprachen, die bis auf das Lettische und das Litauische im 16/17. Jahrhundert ausgestorben sind. Wegen ihrer nahen Verwandtschaft werden sie häufig zu einer größeren Gruppe – den balto-slawischen Sprachen – zusammengefaßt.

Die Baltischen Sprachen werden am Beispiel des Litauischen von einem Gastautor, Herrn Nils Maschke dargestellt.

A. Die slawischen Sprachen

Heute werden slawische Sprachen von mehr als 250 Millionen Menschen in Ost- und Mitteleuropa, in großen Teilen des Balkan und in Nordasien gesprochen. Damit ist die slawische Sprachgruppe die drittgrößte indoeuropäische Unterfamilie (die germanischen und romanischen Hauptzweige haben jeweils rund 500 Mio. Sprecher).

Das Slawische weist gemeinsame Züge mit den baltischen Sprachen auf, so daß beide Gruppen gelegentlich zur baltisch-slawischen Sprachgemeinschaft zusammengefaßt werden. Bis heute ist noch nicht endgültig geklärt, ob die Ähnlichkeit der beiden Sprachgruppen auf eine gemeinsame Herkunft oder nur auf langfristige wechselseitige Sprachkontakte zurückzuführen ist.

Die slawischen Sprachen werden in drei Gruppen eingeteilt:

Ostslawisch

  • Russisch,
  • Ukrainisch
  • Weißrussisch.

Südslawisch

  • Bulgarisch
  • Makedonisch
  • Kroatisch
  • Slowenisch
  • Serbisch (vgl. unten)

Westslawisch

  • Tschechisch
  • Slowakisch
  • Polnisch
  • Kaschubisch
  • Sorbisch.
Ob es sich bei Serbisch um eine eigene Sprache oder eine Variante des Serbokroatischen handelt, ist umstritten. Denn sowohl im Vokabular als auch nach grammatikalischen Kriterien ist die serbische Sprache der kroatischen und bosnischen Sprache so ähnlich, dass sich alle Serbischsprechenden mühelos mit Sprechern des Bosnischen und Kroatischen verständigen können.

B. Entwicklung der slawischen Sprachen

Alle diese Sprachen gehen auf das Urslawische zurück, das mangels schriftlicher Quellen – ähnlich wie das Germanische – nur hypothetisch erschlossen ist.

Die Einzelsprachen haben sich erst relativ spät aus dieser slawischen Ursprache herausgebildet. Während sich die germanischen Einzelsprachen / Sprachgruppen spätestens um die Zeitenwende vom Germanischen abgesondert und die romanischen Einzelsprachen etwa ab dem Zerfall des Römischen Reiches (5. Jahrhundert n. Chr.) aus dem Lateinischen entwickelt hatten, erfolgte die Herausbildung der slawischen Einzelsprachen aus der slawischen Ursprache erst ab etwa 1.000 n. Chr. in einem fortdauernden, heute noch andauernden Ausgliederungsprozeß.

Nach ihrer Entstehungsperiode kann man ältere slawische Sprachen (z.B. Bulgarisch, Russisch, usw.) von jüngeren slawischen Sprachen (z.B. Ukrainisch, Slowakisch, usw.) und diese wiederum von noch jüngeren, erst in der Neuzeit entstandenen Sprachen unterscheiden.

Zu den modernen slawischen Sprachen gehören bspw. das Westpolessische, das seit dem 18. Jhdt. in der Region zwischen Kiew und Brest Bedeutung gewinnt, das Resianische der Slowenen in der norditalienischen Provinz Udine und vor allem das Ruthenische (= Russinische) in Serbien, Kroatien, und in Teilen der Ukraine, Polens, Ungarns und der Slowakei, und nicht zuletzt das Bosnische, die Sprache der Muslime in Bosnien, die sämtlich erst in den letzten 200 Jahren entstanden sind.

C. Schrift

Die modernen slawische Sprachen werden teilweise im

  • lateinischen Alphabet (Tschechisch, Slowakisch, Slowenisch und Polnisch) und teilweise im
  • kyrillischen Alphabet geschrieben (Russisch, Ukrainisch, Weißrussisch, Makedonisch und Bulgarisch)

    Die Sprecher der ersten Gruppe sind hauptsächlich Katholiken, die Sprachen der 2. Gruppe verwenden das kyrillische Alphabet aufgrund des Einflusses der orthodoxen Kirche.

    In den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien zerfiel nach dem Ende der Tito-Ära nicht nur der gewaltsam zusammengehaltene Staat, sondern mit ihm auch die dort gesprochene serbokroatische Sprache.

  • In dem Nachfolgestaat des (Tito-)Jugoslawiens mit den beiden Bundesstaaten Serbien und Montenegro wird wieder Serbisch gesprochen und von den orthodoxen Serben in kyrillischen Buchstaben geschrieben.
  • Dagegen wird in Kroatien und Bosnien-Herzegowina Kroatisch gesprochen und von den katholischen Kroaten in lateinischer Schrift geschrieben.

Das kyrillischen Alphabet, das auf einer Übernahme des griechischen Alphabets beruht, wurde von einem griechischen Missionar (dem heiligen Kyrillos) geschaffen, um das Neue Testament in die Sprache des slawischen Volkes zu übersetzen, das im 9. Jahrhundert christianisiert wurde.

Die einzelnen Sprachen hatten sich im 9. Jahrhundert noch nicht herausgebildet. Das Altslawische wurde damals (Einführung des kyrillischen Alphabets: seit 864) noch von allen Slawen verstanden. Die Aufgliederungen auf die Einzelsprachen kann somit noch nicht erfolgt bzw. nicht allzu weit fortgeschritten gewesen sein.

Auch nach der Entwicklung der Einzelsprachen wurde das Altslawische besonders von der Kirche gepflegt und gewann durch die Bestrebungen der Ost- und Südslawen, es als gemeinsame Schriftsprache zumindest im kirchlichen Bereich zu erhalten, einen großen Einfluß auf die sich seit dem 11. Jahrhundert allmählich bildenden slawischen Nationalsprachen.

Besonders stark ist der Einfluß des Altkirchenslawischen auf das Russische. Das noch heute (!) im orthodoxen Gottesdienst verwendete Kirchenslawische ist eine stark russifizierte Form des Altkirchenslawischen.

D. Sprachstruktur

Wortschatz

Die slawischen Sprachen weisen im Vergleich zu den Sprachen der germanischen Gruppe eine größere formale und strukturelle Geschlossenheit auf: Rund zwei Drittel des Wortschatzes der slawischen Sprachen stimmt in den einzelnen Sprachen überein.

Dies könnte auf die erst relativ spät erfolgte Ausgliederung aus der gemeinsamen Ursprache zurückzuführen sein (vgl. oben), weil die Sprachen somit weniger Zeit hatten, sich auseinander zu entwickeln. – Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: So ähnelten sich bspw. die romanischen Sprachen einander z.B. nach 500 oder 800 Jahren der Entwicklung sicherlich noch wesentlich stärker als heute nach rund 1.500 Jahren ihrer Entwicklung.

Klassifikation

Die slawischen Sprachen sind sehr konservativ, und daher hilfreich bei der Rekonstruktion des Indogermanischen. Sie weisen noch viele Strukturen auf, die andere (insbesondere die romanischen) Sprachen längst verloren haben.

Während die meisten indogermanischen Sprachen die Verb- und Substantivendungen der indogermanischen Ursprache aufgegeben haben (vgl. das dem Indogermanischen noch sehr nahe stehende Lateinische und Altgriechische), haben die balto-slawischen Sprachen ihre komplexen Fallsysteme bewahrt

Wie Latein sind sie flektierend und haben meistens 6 – 7 grammatische Fälle (Kasus).

Kennzeichnend sind auch ihre relative Vokalarmut sowie das umfangreiche Inventar an Zischlauten, die zusammen bewirken, daß diese Sprachen für Westeuropäer in der Regel sehr schwierig auszusprechen ist.

E. Einzelne slawische Sprachen